Porträt:Unterwegs im Kinderkosmos

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Doppelte Premiere: Regisseur Johannes Schmid hat die "Geschichten vom Franz" fürs Kino verfilmt. Und in Kürze kommt "Die Eisbachwelle" in der Schauburg zur Uraufführung.

Von Barbara Hordych, München

Mittlerweile ist Stockholm sein Zuhause: Für die Proben seines Stücks "Eisbachwelle" an der Schauburg ist der Theater- und Filmregisseur Johannes Schmid nach München zurückgekehrt und genießt den Spaziergang im Alten Botanischen Garten. (Foto: Florian Peljak)

Am Anfang stand ein doppeltes Debüt: Johannes Schmids preisgekrönte Romanverfilmung "Blöde Mütze!" erlebte 2007 ihre Premiere auf der Berlinale. Die Geschichte einer Sommerliebe unter drei Jugendlichen stammt von seinem Bruder Thomas. "Das war auch sein Debüt, und das Buch hat viel mit unserer gemeinsamen Kindheit zu tun", sagt Schmid bei einem Treffen in einem Schwabinger Café. Drei ältere Brüder hat der 1973 in Niederbayern geborene Schmid, der Theater- und Filmwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte in Erlangen und München studierte und seit 2000 als freischaffender Regisseur für Film und Theater tätig ist. Schon bei seinem Erstling zeigte sich seine Fähigkeit, sehr unprätentiös und gleichzeitig ungemein intensiv in die Gefühlswelten seiner jungen Leinwandhelden einzutauchen. Entsprach er als Junge eher dem zurückhaltenden Martin mit der Baseballmütze oder dem nassforschen Oliver, die um die Zuneigung desselben Mädchens rivalisieren? "Auf alle Fälle Martin", sagt Schmid und lacht.

Seit neun Jahren lebt er mit seiner Frau, der schwedischen Choreografin Anna Holter, und der gemeinsamen Tochter in Stockholm. Von dort sind sie jetzt nach München zurückgekehrt, um an der Schauburg für die Uraufführung "Eisbachwelle" zu proben. Premiere ist am 24. April. Wieder doppelt sich bei ihm so einiges. Denn in dieser Woche feierte sein Film "Geschichten vom Franz" nach Christine Nöstlingers Buchreihe Kinopremiere. Ein Stoff, der ebenfalls weit in die Kindheit zurückreicht. "Das Spannende daran ist ja, dass beim Thema Kindheit jeder andocken kann. Selbst wenn man keine Kinder hat, ist man doch selbst einmal Kind gewesen, kann sich einklinken bei den Kernproblemen", sagt Schmid.

Wien mit Kinderaugen sehen

Die Emotionen würden in der Kindheit wie unter einem Brennglas vergrößert, Verletzungen etwa seien Katastrophen im kindlichen Erleben: Franz etwa leidet darunter, wegen seiner blonden Ringellocken immer mal wieder für ein Mädchen gehalten zu werden. Dazu ist er der kleinste in der Klasse. Und wenn er aufgeregt ist, beginnt seine Stimme zu kieksen. So dass er dem bedrohlich wirkenden Lehrer "Zickzack" die Erklärung für sein nicht abgegebenes Hausaufgaben-Heft schuldig bleibt.

Vor dem strengen Lehrer Zickzack (Rainer Egger) verschlägt es Franz (Jossi Jantschitsch) schon mal die Sprache. (Foto: Wild Bunch)

Bei den Dreharbeiten entdeckte Schmid Wien "mit Kinderaugen neu für sich", abseits der touristisch allzu bekannten Straßen und Plätze. Da sind die großzügig verschachtelte Altbauwohnung von Franz' Familie, ein kleiner Supermarkt, die Sprengelschule, ein Eisstand. "Das Entscheidende in diesem Alter ist ja, dass die Kinder mit neun, zehn Jahren allmählich anfangen, ihre eigenen Stadträume zu erobern. Sie gehen alleine zur Schule, besuchen oder treffen ihre Freunde selbständig", sagt Schmid. Ein Phänomen, das er von seiner eigenen Tochter Matilda kennt, die mit ihren zehn Jahren geradezu prädestiniert war, kurz in einer Klassenraum-Filmsequenz aufzutauchen. "Im Drehbuch heißt ihre Rolle: Mädchen hinter Franz", sagt Schmid und schmunzelt. Sie reicht Franz ein Zettelchen von dem beliebtesten Mädchen der Klasse und Anführerin einer Clique weiter: Er soll zu einem Treffen kommen und beweisen, dass er cool ist - indem er in einem Supermarkt Kaugummi stiehlt.

Gut, dass Franz (Jossi Jantschitsch, rechts) immer seinen Freund Eberhard (Leo Wacha) zur Seite hat. Das namenlos bleibende Mädchen hinter ihm spielt Matilda, die Tochter des Regisseurs Johannes Schmid. (Foto: Wild Bunch)

"Der Drehbuchautorin Sarah Wassermair und mir war wichtig, dass die Herausforderungen, denen sich Franz stellen muss, der Alltagsrealität von Kindern entspringen", sagt Schmid. Dazu gehören neben dem Diebstahl auch ein Abstieg in den Keller. "Sich nach unten in den dunklen Keller zu trauen, ist eine Mutprobe, die eigentlich jedes Kind kennt; die ist mir viel lieber als der Aufstieg auf den Himalaya", so Schmid. Diesen Alltagsrealismus schätzt er auch an Nöstlingers Büchern sehr, deren Franz-Reihe bei Oetinger erscheint und allein im deutschsprachigen Raum eine Auflage von 2,5 Millionen erreicht. "Sie beschreibt mit großer Ernsthaftigkeit die Momente und Gefühle, die Kinder erleben. Gleichzeitig findet sie aber auch immer einen Dreh ins Witzige, aufgefangen mit Wienerischem Humor".

Etwa wenn Gabi, Franz' beste Freundin, von zu Hause wegläuft: "Es besteht kein Gabi-Bedarf mehr", schreibt sie in ihrem Abschiedsbrief traurig, nachdem Franz sich vor den coolen Mädchen von ihr distanziert hat. Und sie ein Telefongespräch ihrer alleinerziehenden Mutter aufgeschnappt hat, in dem diese ihre Tochter als Hinderungsgrund für einen Kurztrip mit ihrem Freund benennt. Wie und wo sie Franz dann wieder findet, ist ein kleines Meisterstück der Balance zwischen Empathie und Belustigung. Tatsächlich glückt es Schmid, Nöstlingers legendären Schmäh ganz frisch zu inszenieren, mit nur vorsichtigen Modernisierungen bei den Figuren. Etwa wenn Franz auf der Suche nach mehr "Männlichkeit" einem Influencer folgt.

Plötzlich ist die Freundin weg

Das Theaterstück "Eisbachwelle" setzt indes bei etwas älteren Kindern an. "Hier sind wir in einer Situation, in der Kinder und deren Eltern die Familien von Freunden und diese selbst oft gar nicht mehr kennenlernen. Die Freunde treffen sich alleine, nicht mehr zu Hause, einen Vater oder eine Mutter sieht man vielleicht nur mal ganz kurz von hinten", erzählt Schmid. Drei Jugendliche im Alter von 13,14 Jahren treffen sich im Sommer regelmäßig am Eisbach - bis auf einmal die dritte nicht mehr erscheint. Warum nicht? Wo wohnt sie überhaupt, und mit wem? Stimmen die Gerüchte, die über sie kursieren? "Da verlieren sich Biografie und Identität im Ungewissen, es entstehen Spekulationen", sagt Schmid.

"Wenn man so will, kann man durchaus Ähnlichkeiten zwischen Florian Wackers Stück mit seiner poetischen Prosa und meinem Film 'Agnes' entdecken", sagt Schmid. Das Liebesdrama basiert auf dem 1998 veröffentlichten Debütroman des Schweizer Schriftstellers Peter Stamm. Auch dort bleibe ungewiss, welche Identität eine junge Frau wirklich besitze, über die ein Autor - auf ihren Wunsch hin - einen Roman schreibt. Am Ende bleibt für den Zuschauer unklar, ob Agnes' Erfrierungstod nur fiktiv oder auch in der Realität geschieht. In diesem Film wie auch jetzt in der Schauburg-Produktion würden Wirklichkeit und Fiktion verschränkt. "Für das Publikum ist ungewiss, was Einbildung, was Vermutung ist, da treffen sich die Stoffe". Es sei wie im wahren Leben: Eine letztgültige Erklärung gebe es am Ende nicht.

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